xxx Soziale Nachhaltigkeit Nachhaltigkeit bedeutet im nachfolgenden Zusammenhang die integrative Bearbeitung der Konflikte und Synergien zwischen sozialen, ökologischen und ökonomischen Dimensionen unternehmerischen Handelns. Nachhaltigkeit erscheint überwiegend als eine Nebenbedingung von Produkten und Produktion eines Unternehmens: Trotz ihrer schädlichen Wirkungen soll die Regenerierungsfähigkeit der Erde gewährleistet bleiben. Regeneration statt Optimierung Das gleiche gilt für den sozialen Bereich. Auch hier wird keine Optimierung der zahlreichen von dem jeweiligen Unternehmen tangierten Bedürfnisse im Sinne einer optimalen Bedürfnisbefriedigung angestrebt, sondern nur eine Bedürfnisberücksichtigung. Die Folge: Nach außen gerichtete Spenden oder nach innen orientierte betriebliche Sozialleistungen sind für die meisten Unternehmen schon Besonderheiten, die sie im Rahmen entsprechender Überprüfungen oder Audits in der Öffentlichkeit hervorheben. Unter diesen Bedingungen stellt soziale Nachhaltigkeit nur eine Kompensation für soziale Schädigungen dar und keine Optimierung der Befriedigung sozialer Bedürfnisse. Veranschaulichen lässt sich dies an den häufig negativen Folgen von beruflicher Arbeit für soziale Primärgruppen wie die Familie. Dazu gehört die fehlende Zeit für die Erziehung und Betreuung von Kindern oder auch Stressphänomene infolge der Arbeit. Sie wirken unmittelbar in den privaten Bereich hinein durch Verhaltensweisen wie Streit (seinen Frust ablassen), fehlende Kommunikation (Fernsehdauerberieselung) oder Ersatzhandlungen (Kompensationskonsum). Unternehmen bemühen sich teilweise um eine Abschwächung solcher Probleme, indem sie familienfreundliche Arbeitszeitregelungen ermöglichen oder Firmenseminare zum Stressabbau anbieten. Dies sind aber ebenfalls immer nur Ausgleichsmaßnahmen, ohne eine Lösung der zugrundeliegenden Schwierigkeiten im Sinne einer Work-Life-Balance. Für viele Unternehmen ist das erforderlich, um langfristig auf ihre MitarbeiterInnen als zentrale Ressource zurückgreifen zu können. Insofern sichern entsprechende Nachhaltigkeitskonzepte nur, dass die (kapital-)verwertungsorientierte Wirtschaft sich langfristig nicht entsprechend der marxschen Voraussagen selbst ihrer Grundlagen beraubt. Komplexe Bedürfnisberücksichtigung Das Überraschungsei steht als besonders exzellent konzeptioniertes Beispiel dafür, welche Vielzahl an Bedürfnissen MarketingstrategInnen mit einem Produkt abzudecken versuchen: Süßigkeit, Überraschung, Erlebnis, Selbstbau, Sammelleidenschaft, Sammelsieger, Wert der Vollständigkeit etc. Wenn ein Unternehmen tatsächlich die Befriedigung der gleichen Bedürfnisse erfüllen will mit dem Anspruch, dies ökologisch und sozial konsequent zu verfolgen, müsste es anstreben, seine eigene Selbstauflösung durch die langfristig selbstorganisierte Bedürfnisbefriedigung seiner KonsumentInnen zu realisieren. Die meisten Unternehmen betreiben aber wie beim Überraschungsei eine gegenteilige Marketingstrategie. Durch die Verknüpfung ihres Produktes mit möglichst vielen weiteren Zusatznutzen, wird eine hohe dauerhafte Bindung an ein Produkt angestrebt, um so aus Sicht des Unternehmens im Idealfall unbegrenzte Nachkaufambitionen zu fördern. Ökologische und soziale Effizienz Anstöße durch Ratings Wie aufwendig deshalb Nachhaltigkeitsanalysen sein können, lässt sich am Corporate Responsibility-Rating von Ökom in München veranschaulichen. Dort wird die Verantwortung eines Unternehmens bewertet gegenüber: der Gesellschaft und den Kulturen, den von den Unternehmensaktivitäten betroffenen Menschen und der natürlichen Mitwelt. Das Rating orientiert sich an den drei Dimensionen des Frankfurt-Hohenheimer Leitfadens: Kulturverträglichkeit, Sozialverträglichkeit und Naturverträglichkeit. Die relevanten Informationen werden im Rahmen des Corporate Responsibility-Ratings sowohl bei den Unternehmen als auch bei unabhängigen ExpertInnen erhoben: Auswertung von Unternehmensinformationen (Geschäfts-, Sozial- und Umweltberichte), Auswertung von Sekundärliteratur, Fragebogen, Interviews von MitarbeiterInnen, Recherche bei unabhängigen ExpertInnen. Bei der Verantwortung gegenüber der
Gesellschaft und den Kulturen geht es unter anderem um die Einstellung zur und die
Wahrnehmung der Verantwortung des Unternehmens. Ethische Unternehmensziele, Umgang mit
Zielkonflikten in Bezug auf kurzfristige ökonomische und langfristige ethische Ziele,
Verantwortung für das Gemeinwesen, Austausch und Kommunikation mit NGOs, Beitrag zur
Erhaltung der kulturellen Vielfalt in der Region, Auslandsaktivitäten wie Ausnutzung
niedrigerer Standards zur Produktion oder zum Absatz von Produkten, Verhalten gegenüber
Staaten mit autoritärem Regime oder Verdrängung von traditionellen Strukturen durch
Produkte und Dienstleistungen sind nur einige der Stichworte, die in dem Ratingverfahren
genannt werden. Die Dimension der Naturverträglichkeit stellt die Umweltfrage im Sinne der Verantwortung gegenüber der natürlichen Mitwelt in den Vordergrund. Neben allgemeinen Information zur Thematik wird bei dem entsprechenden Rating schwerpunktmäßig Wert gelegt auf eine ökologische Bilanzanalyse, die Betrachtung der Umweltrisiken sowie die Darlegung der Aktivitäten, die im Bereich des Umweltmanagements und der ökologischen Produkt- und Dienstleistungsentwicklung erfolgen. Da allerdings die Umweltbelastung von Branche zu Branche stark variiert, wird zusätzlich eine ökologische Brancheneinordnung vorgenommen mit Hilfe unabhängiger Fachleute. Zusätzlich erfolgt eine Einbeziehung der
Unternehmensaktivitäten in besonderen Geschäftsbereichen in Form von Negativkriterien
wie z.B. Atomenergie, Gentechnik in der Landwirtschaft, Glücksspiel, Militärgüter etc.
Diese Aktivitäten werden nicht bewertet, sondern nur dargestellt. Die Gewichtung der drei
Untersuchungsbereiche Kultur-, Sozial- und Naturverträglichkeit zueinander hängt
grundsätzlich von der jeweiligen Relevanz in den einzelnen Branchen ab. Nächster Schritt
nach der Erfassung der Daten ist die Zuordnung der Unternehmensaktivitäten innerhalb der
drei Untersuchungsbereiche unabhängig voneinander auf einer Skala von D- bis A+. D-
bedeutet, es wurden keine oder kaum nennenswerte Aktivitäten der Unternehmen
identifiziert, mit A+ erfüllt das Unternehmen vollständig die Anforderungen.
Abschließend wird dann ein Ranking der Unternehmen im Branchenvergleich hinsichtlich des
Performance-Ratings erstellt (Rank 1 bis n, n = Anzahl der untersuchten Unternehmen aus
der Branche). Kommunikation als Lernprozess Der Blickwinkel wird so oft zu eng auf das Unternehmen gerichtet, während Gesamtwirkungen mit ihrer Komplexität unberücksichtigt bleiben. Die Folge ist, dass sich einige Organisationen mit einer guten Positionierung im Ranking in ihrer Nachhaltigkeit sonnen und es im ökonomischen und sozialen Umfeld trotzdem nicht zu nachhaltigen Entwicklungen kommt. Ist dies der Fall, würden Unternehmen ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nicht wirklich gerecht werden. Nun stellt sich die Frage, welche Vorgehensweise hier vielleicht bessere Ergebnisse bringen könnte. Ein wichtiger Aspekt sozialer Nachhaltigkeit ist die Reduktion von Konfliktpotenzialen bzw. deren Nutzung für soziale Innovationen. Dies lässt sich durch die Entwicklung differenzierter Checklisten, komplizierter Ratingverfahren oder aufwendiger Audits nur begrenzt erreichen. Mit diesen können die vielfältigen vorhandenen Spannungsverhältnisse zwischen Personen und Gruppen aufgrund divergierender Anforderungen und Bedürfnisse nicht ausreichend genutzt werden, um soziale Energien freizusetzen, die in gemeinsame Entwicklungen münden. Hierfür wäre eine mehr prozess- und kommunikationsorientierte Vorgehensweise erfolgversprechender. Als Konfliktfelder sozialer Nachhaltigkeit, in
denen Unternehmen tangierende Entwicklungspotentiale liegen, lassen sich vorrangig sieben
Ebenen benennen: Wege zum konstruktiven Dialog
Ziel solcher Dialoge wäre nicht vorrangig das Aufdecken schon vorhandener Mängel und deren Beseitigung oder Kompensation im Sinne sozialer Nachsorge, sondern Foren der soziale Vorsorge zu kreieren. Solche Foren wären also einzurichten, bevor ein Produkt auf den Markt kommt. Wie bei ökologischen geht es also auch bei sozialen Problemen vorrangig nicht um einen nachsorgenden, sondern vor allem um einen vorsorgenden Sozialschutz. Dies erfordert, ein differenziertes Kaleidoskop geeigneter Kommunikationsformen zu nutzen, aber auch weiterzuentwickeln. Erfahrungen und Instrumente aus dem Spektrum politischer Beteiligungsverfahren wie BürgerInnen-Anhörung, Planungszelle, Zukunftswerkstatt etc. müssten hier angepasst zum Einsatz kommen. Als Ergänzung oder Verstetigung solcher eher fallbezogener Dialoge könnte auch deren Institutionalisierung versucht werden, indem Unternehmen entsprechend Beiräte oder einen ethisch orientierten Anlageausschluss einrichten oder VertreterInnen relevanter gesellschaftlicher Gruppen in ihren Aufsichtsrat berufen. Ergebnis der gezielt organisierten Kommunikation mit den Stakeholdern könnte ein ökologisches und soziales Produktdesign sein, das die entsprechend ausgerichtete Multifunktionalität von Produkten und Produktionsweisen in den Mittelpunkt rückt. Für Widersprüche zwischen ökologischen und sozialen Anforderungen wären dann gemeinsam Lösungen zu entwickeln. Ein Problem bei solchen dialogintensiven Gesprächskreisen und Partizipationsformen bleibt der Widerspruch zur dritten Dimension nachhaltigen Wirtschaftens, der Wirtschaftlichkeit. Trotz aller Chancen, die für die beiden anderen Dimensionen in einer solchen Vorgehensweise stecken, muss eine Einbindung der Stakeholder für das einzelne Unternehmen in einem ökonomisch sinnvollen Aufwands- und Ertragsverhältnis stehen. Trotz dieser und sicherlich einer Vielzahl weitere Probleme, die in einem solchen Ansatz stecken, wird soziale Nachhaltigkeit so nicht mehr als Zustand oder von den möglichen Ergebnissen her betrachtet, sondern als Prozess verstanden. Diese naheliegende Prozessorientierung kommt intuitiv auch sprachlich zum Ausdruck, wenn von nachhaltiger Entwicklung gesprochen wird. Die Teilhabe an Entwicklung und die Teilhabe am Entwicklungsprozess verstärkt die Kommunikationskompetenz, aber auch die Entscheidungs- bzw. Verantwortungskompetenz der Beteiligten. Insofern ist die intensive dialogische Kommunikation sowohl zentrales Mittel als auch zentrales anzustrebendes Ergebnis sozialer Nachhaltigkeit. Diese Ausführungen geben einige Diskussionsstränge einer Arbeitsgruppe zum Thema Soziale Dimensionen nachhaltiger Entwicklung auf einer Tagung des Theoriearbeitskreis Alternative Ökonomie (TAK AÖ) vom August 2000 in Oberursel wieder.
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