xxx Alternative Ökonomie Globalisierung ist nichts Neues. Von den ersten Ansätzen zu Beginn des Kapitalismus an war es klar, dass sie einen tendenziell weltweiten Prozess darstellt. Sie weist einige wenige Chancen und sehr viele Leidenszusammenhänge auf. Sie brutalisiert die sozialen Verhältnisse; sie ist weder nachhaltig noch geschlechtsneutral. Sollte nachhaltiges Wirtschaften auf Weltebene tatsächlich angestrebt werden und zwar jenseits von Sonntagsreden, etwa im Kontext des Agenda-21-Prozesses , wäre dies, immanent betrachtet, nur als gigantischer weltweiter Öko-Keynesianismus vorstellbar, jenseits von Deregulierung und Shareholder Value. Da nicht zu erwarten ist, dass die Konzerne als Akteure der Globalisierung mehr Verantwortung übernehmen werden, wird es mit der Nachhaltigkeit (die der Profitorientierung zutiefst widerstrebt) wohl nicht so bald etwas werden. Demgegenüber stellt Alternative Ökonomie logischerweise die Negation der erwähnten Globalisierungstendenzen dar. Dabei ist es nicht erforderlich, über den Sammelbegriff Alternative Ökonomie zu stolpern: Diese hat, in geringfügigen begrifflichen Abweichungen, viele verschiedene Namen erhalten: Selbstverwaltungswirtschaft, Selbsthilfegesellschaft, soziale Ökonomie, nachhaltige Ökonomie, solidarische Ökonomie, regionale Wirtschaftsentwicklung, auch neuerdings wieder Dritter Sektor.1 Es kommt jedoch nicht auf die immer neuen Namensgebungen an, sondern auf die dadurch bezeichneten Sachlagen. Alternative Ökonomie ist zunächst jene, die sich in bestimmter Negation zur (je) herrschenden Ökonomie befindet. Alternative Ökonomie legt ihr Augenmerk auf die Fragen individuellen und institutionellen Überlebens. Sie ist gebrauchswertorientiert und in unterschiedlicher Weise arbeitsteilig organisiert. Gebrauchswertorientierung war stets als Negation jeder hegemonialen Haltung gemeint, die ihr Geld überall dorthin strömen lässt, wo eine hohe Rendite zu erwarten ist. Die Geschichte der Aufhebungsversuche von Arbeitsteilungen in der Alternativen Ökonomie geht einher mit der Geschichte der allmählichen Wiederentstehung dieser. Schon die Oppenheimersche Transformationstheorie2 spielt auf diesem Klavier, ebenso die Rothsche Geschäftsführungsdebatte3 der späten Siebzigerjahre; das jede/r macht reihum alles weicht sukzessive dem jede/r macht das, was er/sie am besten kann; die Auslagerung von Putzjobs bildet ebenso ein Indiz hierfür, wie die allmähliche interne Privatisierung (und quasi monopolistische Stellung) der Kassenführung. Wo allerdings das boomende Ausmaß gesamtgesellschaftlicher Hierarchisierungen ebenso im Vordergrund steht, wie die Endlosflexibilisierung eines verhärteten hire-and-fire, sind die Geschäftsführungen, die Ausdifferenzierungen, ja selbst noch die Chefkollektive eine zu vernachlässigende Größe. Zumal es angenehm überrascht, wie viele Betriebe immer noch im Wesentlichen selbstverwaltet sind, wie viele alternative Einrichtungen ein regelmäßiges Plenum als Kernstück ihrer Willensbildung beibehalten haben, in wie vielen Projekten zeitweiliges Überschreiten der Arbeitsteilung wenigstens als gegenseitige Hilfe vorkommt.4 Weite und Vielfalt der Vernetzung Die Motivationen zur Gründung und
Aufrechterhaltung dieser alternativ-ökonomischen Einheiten speisen sich aus
widersprüchlichen Quellen: aus Absichten, etwas bewegen zu wollen und aus den
Notwendigkeiten zu überleben. Schon um 1977 gab es eine Debatte, ob der Schwerpunkt eher
auf erwerbsorientierten Betrieben in Selbstverwaltung liegen sollte oder auf inhaltlich
bestimmten Einrichtungen, in welchen die erforderlichen Tätigkeiten unbezahlt verrichtet
werden (Sekundärökonomie, kleine Netze). Zweitere wären
geschichtlich authentisch geworden, wäre es gelungen, alle Personen durch angemessene
Beschäftigung im primären (marktorientierten, staatlichen) Wirtschaftssektor zu
versorgen, so dass diese in ihrer arbeitsfreien Zeit unbezahlt zu Aufbau und
Bestandssicherung der erforderlichen alternativen Einrichtungen hätten beitragen können.
Die Realität der zunehmenden Erwerbslosigkeit führte indes eindeutig zu einer Priorität
jener Projekte, die das Überleben ihrer Mitglieder zu sichern beanspruchten. Marktorientierung und Alternative
Ökonomie Alternative Ökonomie, idealtypisch, stellt eine bestimmte Negation der Globalisierungstendenzen dar. Zum einen weist sie einen potentiellen Stellenwert hinsichtlich der erforderlichen Remoralisierung bzw. Re-Normatierung von Ökonomie auf. Aber: Wie könnte ein Bündel weithin konsensfähiger Normen aussehen, das nachhaltig wirtschaftliches Handeln weltweit mit Aussicht auf Verwirklichung ermöglicht? Es bestünden Gegentendenzen in ihrer Kleinteiligkeit, in der Einschränkung von Hierarchien, in der Ablehnung des Profitprinzips, in exemplarischen Nischen (in welchen gezeigt wird, dass auch etwas anderes möglich ist, als die überkommene Form des Wirtschaftens), in zivilgesellschaftlichen Zusammenschlüssen ohne staatliches Gewaltmonopol, in Gebrauchtswertorientierungen. Stichworte hierfür wären auf der mittleren Ebene zum Beispiel fairer Handel oder Nichtregierungsorganisationen. Indes nähern sich auch gesamtgesellschaftliche Forderungen wie Entkoppelung von Einkommen und Arbeit an das Paradigma Alternativer Ökonomie an. Alternative Ökonomie ereignet sich überall dort, wo die globalisiert hegemonial erstrebte Kosten-Nutzen-Rechnung zumindest relativiert, wo nicht negiert wird. Ebenso gilt dies für deren Begleiterscheinungen: weltweit durchgeplante Hierarchien, Arbeitsteilungen (bis hin zur Bewusstlosigkeit aller Beteiligten und zum Ausschluss großer Bevölkerungsgruppen von jeder Erwerbstätigkeit überhaupt), radikale Monopole mit ihrer Neigung, ihnen nicht mehr entsprechende Angebote wie Nachfragen bereits im Vorfeld auszuschalten. Dem gemäß kann Alternative Ökonomie keine statische Größe darstellen. Sie reicht von der bewusst kleinen Selbsthilfegruppe bis hin zum Genossenschaftskonzern, von einer Kulturinitiative, die sich kaum noch von einem Freundeskreis unterscheidet, bis hin zur penibel institutionalisierten Stiftung. Wo Wirtschaften wenigstens dem hegemonialen Anspruch nach global wird, beginnen auch die Differenzen zwischen Einheiten herkömmlicher Alternativer Ökonomie einerseits und herkömmlichen Klein- und Mittelbetrieben andererseits, zu verschwimmen: Erinnert sei an den niederländischen Dachverband MEMO,10 an die Arbeitsgemeinschaft Partnerschaft in der Wirtschaft,11 an UnternehmensGrün.12 Zum anderen bringt die Rede von der Sozialen Ökonomie den Umstand auf den Begriff, dass Alternative Ökonomie sich dem annähert, was von der herkömmlichen Gemeinwirtschaft und Sozialwirtschaft übriggeblieben ist. Diese notwendige Vielfalt hat Alternativer Ökonomie nicht nur gut getan. Allein die Übersicht zu behalten, ist Sache weniger ExpertInnen geworden. Das wenigstens abstrakte Interesse aneinander ist einer weitgehenden Gleichgültigkeit gewichen. So ist auch das Auseinanderdividieren von betrieblichen, sozialen und kulturellen Projekten weithin gelungen. Auch führt Globalisierung zu durchwegs unerfreulichen subjektiven Wirkungen. Das Nullsummenspiel von Erfolg oder Verhungern in einer Ellbogengesellschaft, in der jede/r dem/der anderen auf die Füße tritt, um dann voller körperlichem Schmerz in die Isolation zu gehen, führt zu Depression, Angst und Mangel. Dies sollte einem solidarischen und unelitären Lebensstil in relativer Harmonie (welche die solidarische Konfliktaustragung nicht ausschalten darf) weichen, hierarchiefrei und nahe dem Einklang mit der Natur und den Menschen. Dafür wäre die Entwicklung eines gemeinsamen Selbstwertgefühls notwendig, an Stelle von endloser Beschleunigung. Die Zeitsouveränität, von der Bernhard Teriet13 vor 20 Jahren berichtete, reicht nicht mehr aus erforderlich wäre ein Zeitwohlstand, welcher die Hegemonie des Geldwohlstandes abzulösen geeignet wäre. Die Vernetzung untereinander Entsprechend ist es auch so gut wie unmöglich, auf eine gemeinsame theoretische (oder sonstwie ideelle) Grundlage weltweiter Alternativer Ökonomie zurückzugreifen. Neben den traditionellen Theorien des Genossenschaftswesens sind die Theorie der Subsistenzwirtschaft,14 die israelische Kibbuzforschung15 und die vielfältigen Erörterungen zur Selbsthilfe zu erwähnen.16 Alternative Ökonomie gründet in einer Vielfalt ideeller Paradigmen; sie mag christlich, anarchistisch, buddhistisch, marxistisch, feministisch, anthroposophisch, personalistisch-existenzphilosophisch, islamisch, zionistisch inspiriert sein (die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit), ohne dass sich diese Differenzen in unterschiedlicher Qualität der Arbeit zum Ausdruck brächten. Diese universelle Vielfalt ermöglichte erst
jene Kooperation, welche die Negation der Globalisierung erfordert gleichzeitig
markiert sie auch die immensen Schwierigkeiten, die einer solchen Kooperation
vorausgingen. Zu den wenigen Chancen der Globalisierung zählt ja, dass mit Hilfe der
elektronischen Maschinerie der verbale Internationalismus seiner Abstraktion der letzten
150 Jahre entkleidet und in eine aktiv-vernetzte Kooperation transformiert werden könnte.
Die Mühen der Ebenen erscheinen hierbei als erheblich: Es gilt weithin unbezahlterweise
mit zudem teurem Equipment, mit soliden vielfältigen Fremdsprachenkenntnissen, unter
permanent sich wandelnden weltweiten Wechselkursinformationen, Kooperationen in Gang zu
bringen (deren Finanzierung inbegriffen) und zusätzlich darauf zu achten, dass die
Ergebnisse mühsamer Fund-Raising-Aktionen dann auch dem vereinbarten Zweck dienen und das
über Tausende von Kilometern hinweg, und ohne eurozentrisch zu werden. Anmerkungen Auszüge aus einem Beitrag von Rolf Schwendter auf dem Sommerseminar 1998 des Theoriearbeitskreis Alternative Ökonomie (TAK AÖ). Erstveröffentlichung: DGB-Bundesjugendschule Oberursel (Hg.): Kapitalismus ohne Alternativen?. AG SPAK Bücher Neu-Ulm 1999
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Rolf Schwendter ist Professor für Devianzforschung an der Gesamthochschule Kassel. Zahlreiche Veröffentlichungen u.a. Mitherausgeber von: Gemeinsam mehr erreichen. Kooperation und Vernetzung alternativ-ökonomischer Betriebe und Projekte. München, 1995 |
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