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Heinz Bierbaum

Vergangenheit, Gegenwart und Perspektiven der Gemeinwirtschaft

Zuweilen wird die Vermutung geäußert, dass der Prozess der Globalisierung auch wieder zu einer stärkeren Beachtung wirtschaftlicher und politischer Alternativen und darunter auch gemeinwirtschaftlicher Ansätze führe. Bezieht man Gemeinwirtschaft nicht nur auf den engen Bereich, wie dies üblicherweise in Deutschland der Fall ist, sondern versteht man darunter allgemein die dem Gemeinwohl verpflichteten Ansätze, dann kann man in der Tat auch von einem Bedeutungszuwachs gerade auch der Gemeinwirtschaft sprechen. Denn weil die Globalisierung, die sich ja vorwiegend nach neoliberalem Politikmuster vollzieht, mit erheblichen sozialen Widersprüchen einher geht, ruft sie auch immer stärker werdende Kritik und politische und soziale Gegenbewegungen hervor. Und daraus wiederum ergeben sich neue Impulse für gemeinwirtschaftliche oder zumindest für solidarische Formen des Wirtschaftens.

Gemeinwirtschaft und Arbeiterbewegung
Historisch bedingt ist der Begriff der Gemeinwirtschaft meist stark verengt, indem man sich auf die gewerkschaftliche Gemeinwirtschaft bezieht, wie sie sich nach dem Zweiten Weltkrieg in der Bundesrepublik Deutschland entwickelt hat. Dies ist zweifellos ein zentraler und wichtiger Bereich, doch er allein macht Gemeinwirtschaft nicht aus. Ich ziehe den Begriff der Gemeinwirtschaft lieber weiter und verstehe darunter solidarische, gesellschaftlich verpflichtete Ökonomie. In anderen europäischen Ländern – wie etwa in Frankreich – umfasst die economie sociale einen viel größeren Sektor, der sich auch begrifflich anders ausprägt als im Verständnis hiesiger Gemeinwirtschaft.

Freilich besteht kein Zweifel, dass bei uns die Gemeinwirtschaft sehr stark durch die spezifisch gewerkschaftliche Variante geprägt ist. Die Gemeinwirtschaft geht zwar wesentlich auf die Genossenschaftsbewegung zurück, ist in Deutschland historisch jedoch in sehr hohem Maße mit der Arbeiterbewegung verbunden und damit auch mit Gewerkschaften. Die Genossenschaften selbst wurden in diesem Zusammenhang auch als „Dritte Säule der Arbeiterbewegung“ (neben Gewerkschaften und Partei) bezeichnet, doch ist das Genossenschaftswesen sehr viel breiter. So gibt es bei den Genossenschaften gerade in Deutschland auch sehr starke mittelständisch-liberale Traditionen, die auch heute noch sehr viel stärker das existierende Genossenschaftswesen bestimmen. Die genossenschaftliche Selbsthilfe der Arbeiterbewegung ging dagegen in die gewerkschaftliche Gemeinwirtschaft über, die recht bald die genossenschaftlichen Formen abstreifte.

Es steht jedoch außer Frage, dass auch die gewerkschaftliche Gemeinwirtschaft auf genossenschaftlicher Selbsthilfe basiert und damit Teil eines umfassenden sozialreformerischen Konzeptes ist, das sich als eine Alternative oder aber zumindest Ergänzung zur marktwirtschaftlich vermittelten Bedarfsdeckung verstand. Gemeinwirtschaft wollte – wie die genossenschaftliche Selbsthilfe ganz allgemein – eine Bedarfsdeckung für breite Schichten der Bevölkerung erreichen. Dazu setzte sie in den klassischen Feldern des Reproduktionsbereichs an. So entstand zunächst die Konsumgenossenschaften, die später zur Coop wurde. Im Wohnbereich entstand die Neue Heimat und aus den alten Spar- und Kreditvereinen entwickelte sich die gewerkschaftliche Bank für Gemeinwirtschaft – die BfG.1

Ziele und Praxis der Gemeinwirtschaft
Wesentliche Zielsetzung der Gemeinwirtschaft war die Bedarfsdeckung, nicht der Gewinn. Dieser wurde lediglich als Bedingung zum Überleben im Rahmen marktwirtschaftlicher Strukturen angesehen und deshalb auch beschränkt. Als eine auch in Marktwirtschaften lebensfähige Unternehmensform versuchte man, sich durch besondere Zielsetzungen von den anderen Unternehmen abzugrenzen. Freilich traten mit dieser Abgrenzung schon früh Probleme auf. Denn auch im Rahmen der Gemeinwirtschaft selbst entwickelten sich Formen, für die die Gewinnbeschränkung nicht galt und die sich auch sonst in nichts mehr von anderen kapitalistischen Unternehmensformen unterschieden. Teilweise wurde dies dadurch zu legitimieren versucht, dass darüber das Kapital zur Verfolgung gemeinwirtschaftlicher Ziele erwirtschaftet werden sollte. Dieser Zusammenhang wurde jedoch immer brüchiger. Es kam zu Verselbstständigungstendenzen, die gemeinwirtschaftliche Zielsetzung geriet aus dem Blickfeld und wurde eher hinderlich – auch im Bewusstsein der Vertreter der Gemeinwirtschaft. Die Beschränkung des Gewinns wurde immer weniger als Ausdruck anderer, nämlich gesellschaftlich ausgerichteter Zielsetzungen, sondern als eine Beschränkung unternehmerischer Tätigkeit verstanden. Hinzu kam eine relativ schwache Aufsichtsratstätigkeit, die dazu geführt hat, dass es neben objektiven Problemen auch zu einer ganzen Reihe Managementfehler bis hin zu unseriösem Geschäftsgebaren kam, die dem gemeinwirtschaftlichen Gedanken sehr geschadet haben.

Die eigentliche Problematik für die Gemeinwirtschaft bestand jedoch darin, dass sich die materielle Notwendigkeit eines Sektors, der in Form gemeinwirtschaftlicher Unternehmen für die Deckung wesentlicher Bedürfnisse sorgt, verringert hat. Diese Funktion hat in hohem Maße der Markt selbst übernommen. An diesem Spannungsverhältnis sind die gewerkschaftlichen gemeinwirtschaftlichen Unternehmen letztlich zerbrochen.
Meine These ist, dass auch die mangelnde Diskussion
–    um die Position solcher Unternehmen im Rahmen von kapitalistisch verfassten Marktwirtschaften und
–    um das Verhältnis von gemeinwirtschaftlicher Ausrichtung zu marktwirtschaftlichen Funktionsmechanismen
mit dazu geführt hat, dass diese Form relativ kläglich untergegangen ist. Dieser Sektor wurde nie wirklich in eine gesellschaftliche Reformstrategie eingebunden – auch von den Gewerkschaften nicht. Die Gemeinwirtschaft hat in der politischen Diskussion der Gewerkschaften schon viele Jahre vor dem Zusammenbruch eigentlich keine Rolle mehr gespielt.

Ich halte es für problematisch, dass bis heute innerhalb der Gewerkschaften eigentlich keine politische Aufarbeitung der gewerkschaftlichen Gemeinwirtschaft stattgefunden hat. Als Gewerkschafter haben wir, wenn es um Gemeinwirtschaft geht, ein etwas ungutes Gefühl, ja fast schon ein schlechtes Gewissen. Das ist nicht gut, auch anderen Ansätzen gegenüber nicht. Es wäre nach wie vor sinnvoll, unsere Erfahrungen auch politisch aufzuarbeiten.

Alternativbewegung und Gemeinwirtschaft
Wer heute von Gemeinwirtschaft redet, kann eigentlich nicht mehr die gewerkschaftliche meinen, obwohl gerade diese unser Bewusstsein besetzt. Das politische Erbe der Gemeinwirtschaft ist aber auch weitergetragen worden. Die äußerst heterogene Selbsthilfe- und Alternativbewegung hat seit den achtziger Jahre genossenschaftliche Auffassungen und Ideen reformuliert. Sie wurde zuweilen auch als „Neue Genossenschaftsbewegung“ bezeichnet, allerdings gab es hinsichtlich dieser „Vereinnahmung“ auch heftige Kritik. Ich denke dennoch, dass der Ausdruck „Neue Genossenschaftsbewegung“ seine Berechtigung hat, weil die alte Genossenschaftsbewegung prägende Selbsthilfeansätze durch die Selbsthilfe- und Alternativbewegung wieder aufgenommen worden sind und damit neues Interesse geweckt wurde. Gerade in der Alternativökonomie ging es meist um den Produktivbereich, der im deutschen Genossenschaftssektor eher unterrepräsentiert ist.

Die Selbsthilfe- und Alternativbewegung stellt bis heute eine ganz praktische Kritik an herkömmlichen Formen des Arbeitens dar. Dabei geht es um die Arbeitsorganisation selbst, vor allem aber auch um Organisationsstrukturen, um den Prozess der Entscheidungsfindung und damit um die Hierarchie- und Herrschaftsformen. Freilich erfuhren gerade die betrieblichen Prozesse im Laufe der Zeit erhebliche Veränderungen. Und es hat sich gezeigt, dass das in der Genossenschaftsbewegung schon sehr früh diskutierte Oppenheimersche Transformationsgesetz auch hier Anwendung findet – mit der Konsequenz einer weitgehenden Anpassung solcher alternativer Formen des Wirtschaftens an die herrschende Ökonomie.

Diese alternativen Ansätze haben sich vor allem als Reaktion auf eine krisenhafte Entwicklung der Gesellschaft herausgebildet. Insbesondere die Arbeitslosigkeit aber auch eine gewisse Sinnkrise der Arbeitsgesellschaft spielten dabei eine Rolle. So entstanden viele Versuche, Existenzsicherung mit einer anderen Form des Arbeitens zu verbinden. Auch im gewerkschaftlichen Bereich versuchte man in dieser Zeit neuartige Formen der Beschäftigung zu entwickeln. Es wurden auf Unternehmensebene Beschäftigungspläne erarbeitet, Beschäftigungsgesellschaften entwickelt und – zum Teil spektakuläre – Versuche der Betriebsfortführungen durch Belegschaften gestartet. Hier entstand also ein Bereich der Gemeinsamkeiten für Gewerkschaften und Alternativbewegung. In der Folge kann es dann auch zu einem – nicht immer einfachen – Dialog zwischen Vertretern der Gewerkschaften und der Selbsthilfewirtschaft.

Relativ unabhängig davon entwickelte sich aber auch ein Dialog zwischen der gewerkschaftlichen Gemeinwirtschaft, insbesondere der Bank für Gemeinwirtschaft und der Alternativ- und Selbsthilfebewegung. Bezeichnenderweise war in der Diskussion die Nähe zwischen den Vertretern der Alternativbewegung und denen der Gemeinwirtschaft größer, als zwischen den im Gewerkschaftsbereich entstandenen betrieblichen Initiativen und der Gemeinwirtschaft, die nichts miteinander zu tun hatten. Um es ganz deutlich zu sagen: Die Bank für Gemeinwirtschaft, die wegen der immer großen Finanzierungsproblematik derartiger Initiativen sich eigentlich als Partner anbot, hat bei Fragen der Betriebsfortführung durch Belegschaften keine Rolle gespielt.

Der Zusammenhang zwischen aus betrieblich-gewerkschaftlichen Bereichen stammenden Initiativen und der Alternativökonomie war offensichtlich, hatten sie doch gleichartige Ausgangspunkte: Eigeninitiative, der Wunsch nach anderen Arbeitsformen und demokratischeren Betriebsstrukturen. Gerade bei den betrieblichen Initiativen waren ineffiziente Organisationsstrukturen und ein unfähiges Management der Ausgangspunkt. So stand denn bei diesen Initiativen die Sicherung der Arbeitsplätze zwar im Vordergrund, doch sollte die Beschäftigungssicherung immer auch mit qualitativen Veränderungen in der Betriebsstruktur und der Arbeitsorganisation verbunden werden.

Mitbestimmung oder Selbstbestimmung?
Trotz der gemeinsamen Ausgangspunkte und Zielsetzungen war das Verhältnis zwischen Alternativbewegung und Gewerkschaften immer widersprüchlich und oft auch außerordentlich schwierig. Die Selbstausbeutung war einer der zentralen Vorwürfe von Gewerkschaftsseite gegenüber der Alternativwirtschaft. Man argwöhnte, dass gewerkschaftlich errungene Positionen in Hinblick auf Bezahlung, Arbeitszeit, Absicherung durch diese Betriebe unterlaufen werden. Dennoch wurde von der IG Metall eine grundsätzlich positive Stellungnahme zu Betriebsfortführungen durch Belegschaften und damit auch zu Selbsthilfeansätzen abgegeben, die allerdings mit bestimmten Bedingungen verknüpft war: tarifvertragliche Rechte sollten gewahrt und die Mitbestimmung ausgebaut werden. Im Grunde sind aber auf Eigeninitiative basierende Maßnahmen der gewerkschaftlichen Mehrheit eher fremd.

Mitbestimmung oder Selbstbestimmung war zwar nicht das zentrale, aber doch ein immer wieder diskutiertes Thema. Aus gewerkschaftlicher Sicht wurde das damit verbundene Risiko für den Einzelnen thematisiert. So hat die IG Metall verlangt, dass Betriebsfortführungen ohne finanzielles Risiko für die Beteiligten gestaltet werden sollten – dies ist ausgehend von den dortigen Strukturen natürlich eine ambitionierte Forderung. In der Diskussion wurde klar, dass hierfür auch die gesellschaftlichen Bedingungen geschaffen werden mussten, um beispielsweise tarifvertragliche Rechte oder bestimmte Mindestlöhne überhaupt einhalten zu können. Soll die betriebliche Finanzierung nicht zum persönlichen Existenzrisiko werden, so müssen auch entsprechende Unterstützungsstrukturen geschaffen werden.

Es gab eine ganze Reihe von strategischen Versuchen der wechselseitigen Unterstützung. Die Beteiligten aus dem gewerkschaftlichen Bereich erwarteten von der Alternativbewegung Unterstützung auch ganz praktischer Art. Und umgekehrt waren zumindest Teile der Selbsthilfe- und Alternativökonomie an einer Art von Austausch interessiert, sie wollten in den Gewerkschaften einen Bündnispartner finden, der sie im politischen Raum stärkt. Der Versuch ist nicht ganz gelungen, obwohl es eine ganze Reihe von Übereinstimmungen in der Zielsetzung gab. Beiden Gruppen ging es darum möglichst sinnvolle Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen, darüber aber auch gesellschaftliche Ziele voranzubringen und ökologische und soziale Bedürfnisse stärker in den Vordergrund zu stellen. Insofern gab es eine enge Verbindung zwischen den gewerkschaftlichen Anliegen und den Zielsetzungen der Alternativbewegung. Eine letztlich nicht gelungene strategische Verbindung beider Bereiche hätte zu einer erheblichen politischen Aufwertung dieses Sektors geführt und wäre im Grunde auch erreichbar gewesen. Große Chancen hätten vor allem im Rahmen der Beschäftigungsgesellschaften gelegen. Gerade hier hätten aus dem Zusammenwirken von genossenschaftlichen bzw. gemeinwirtschaftlichen Ansätzen und gewerkschaftlichen Zielsetzungen gute Ansätze entwickelt werden können.

Dieser Zusammenhang wird deutlich, wenn man sich die Entstehungsgeschichte der Beschäftigungsgesellschaften vergegenwärtigt. Die Idee der Beschäftigungsgesellschaften entstand 1986 in Zusammenhang mit der Krise der Stahlindustrie (zuerst in Hattingen, dann vor allem Rheinhausen). Es wurde nach Möglichkeiten gesucht, wie man letztlich nicht verhinderbare ökonomische Umstrukturierungsprozesse so gestalten kann, dass wellenartige Entlassungen verhindert und damit auch die Verschwendung menschlicher Ressourcen vermieden wird. Mittels Beschäftigungsgesellschaften versuchte man, die von solchen Umstrukturierungsprozessen betroffenen Belegschaften zusammenzuhalten und zugleich Maßnahmen zur Schaffung neuer Beschäftigung einzuleiten. Dazu sollten ursprünglich die Unternehmen einbezogen werden, bei denen die Restrukturierungsprozesse stattfanden. Es war zwar klar, dass der Stahlbereich schrumpfte, aber kein Unternehmen beschränkte sich nur auf Stahl, sondern schloss im Konzernverbund auch Weiterverarbeitungsaktivitäten ein, so dass dort Möglichkeiten gesehen wurden, neue Beschäftigungs- und Tätigkeitsfelder aufzubauen. Das war der Grundgedanke von Beschäftigungsgesellschaften.

Es sollten Gesellschaften geschaffen werden, die betroffene Beschäftigte erst einmal sozial absichern, dann Qualifizierungsmaßnahmen für sie durchführen, damit sie dann entsprechend vorbereitet die neue Beschäftigung aufnehmen können, die in den Gesellschaften selbst mit entwickelt werden sollte. Es liegt eigentlich sehr nahe, die Selbsthilfe- und Genossenschaftsinitiativen hier einzubeziehen, weil sie gute Voraussetzungen und Erfahrungen mitbringen. Durch die materielle Absicherung auf Zeit entstand eine Möglichkeit, Eigeninitiative zu fördern und eigene Entwicklungsansätze für Arbeit und Beschäftigung voranzutreiben.

Zwar wurden die Anliegen politisch aufgegriffen, doch blieb ihnen ein eigentlicher Erfolg versagt. Die Beschäftigungsgesellschaften haben später mit der Vereinigung Deutschlands politisch nochmals einen Aufschwung erfahren. Im Zuge der enormen Restrukturierung der Ökonomie der ehemaligen DDR wurden sehr viele Beschäftigungsgesellschaften gegründet, die sogenannten ABS-Gesellschaften, Gesellschaften mit arbeitsmarkt-, beschäftigungs- und strukturpolitischen Zielsetzungen. Auch hier ging es zunächst einmal darum, die betroffenen Belegschaften zusammen zu halten, sozial abzusichern und auf dieser Basis eine Grundlage für neue Aktivitäten, neue Tätigkeitsfelder zu entwickeln. In der Folge trat allerdings dieser letzte Aspekt zurück und die Gesellschaften wurden weitgehend zu – zweifellos wichtigen – sozialen Auffangbecken. Es hätte ein bunter Strauß an Initiativen entstehen können. Das war leider nicht der Fall – auch weil es an politischer Unterstützung fehlte. Hier ist zweifellos eine Chance vertan worden.

Freilich wäre dazu auch eine aktive Industrie- und Strukturpolitik erforderlich gewesen, die vor Ort versucht, diese Initiativen in ihrer Entstehung und der Entwicklung weiterer Perspektiven zu fördern. Zwar gab es eine solche Politik in Ansätzen – einige Programme und Initiativen zeugen noch davon –, diese waren aber bei weitem nicht ausreichend. Den Beschäftigungsgesellschaften fehlten die für ihr Fortbestehen wichtigen Rahmenbedingungen einer regionalen Entwicklungspolitik. Das ist der zentrale Punkt, auf den ein stärkeres Gewicht hätte gelegt werden müssen.

Perspektive regionale Entwicklungspolitik
Daraus sollten Lehren gezogen werden. Ich sehe nach wie vor Möglichkeiten, Initiativen, die zunächst einmal am Arbeitsmarkt oder der sozialen Absicherung ansetzen, in Richtung wirtschaftlicher Selbsthilfeansätze weiterzuentwickeln. Die arbeitsmarktpolitischen Instrumente dafür haben sich eher verbessert. Dies gilt nicht nur für den Osten, sondern gerade auch für andere Regionen, etwa für die Umstrukturierungen im Rhein-Main-Gebiet. Hier sehe ich nicht den alleinigen, aber doch einen wesentlichen Ansatz für gemeinwirtschaftlich orientierte Eigeninitiativen.

Ich bin überzeugt, dass Formen solidarischen Wirtschaftens nach wie vor aktuell sind. Es wird sie immer geben. Die Frage ist jedoch, welchen Umfang und welchen Stellenwert sie für die wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Entwicklung haben. Eine Perspektive ergibt sich vor allem, wenn sie mit regionaler Entwicklungspolitik verbunden werden. Gerade solche solidarischen, auf Eigeninitiative basierenden Ansätze sind ihrerseits wiederum Triebkräfte für die regionale Wirtschaft. Solidarisches Wirtschaften ist eine Antithese zur Globalisierung. Denn es zielt auf eine Aktivierung endogener Potentiale, also der vor Ort vorhandenen menschlichen wie technischen Ressourcen.

In der Verbindung von gemeinwirtschaftlichen Ansätzen mit einer aktiven regionalen Entwicklungspolitik liegt nach meinem Dafürhalten die zentrale Perspektive für die Gemeinwirtschaft als soziale und solidarische Ökonomie.

Besonders große Aktivitäten können im Rahmen regionaler Entwicklungspolitik derzeit allerdings nicht verzeichnet werden. Es gibt zwar immer wieder die – in ihrer Quantität meist überschätzten – Initiativen zur Existenzgründung, aber – und das ist ein entscheidender Punkt – kaum eine entsprechende Regionalpolitik. Existenzgründungen sind zwar immer wieder ein politisches Thema, doch fehlt es meist an einer organischen Einbettung in regionale Entwicklungspolitik. In der Verbindung von Eigeninitiative, gemeinwirtschaftlicher Orientierung und regionaler Entwicklungspolitik liegen erhebliche Potenziale. Deren Wahrnehmung wird von den gegenwärtigen politischen Verhältnisse nicht gerade begünstigt. Eher muss man von einem politischen Rückschritt gegenüber früheren Ansätzen sprechen. Wenn es gelänge, die politische Diskussion auf diesem Feld wieder zu aktivieren, wäre schon einiges gewonnen.

Sowohl weltweit als auch lokal wird deutlich, dass die vorherrschende Politik einer nach neoliberalem Muster verlaufenden Globalisierung erhebliche Defizite und Lücken hinterlässt. Hier müsste eigentlich mit alternativen Konzepten hineingestoßen werden, um gesellschaftliche Zielsetzungen – wie beispielsweise die Bedarfsdeckung, die Achtung gesellschaftlicher und auch ökologischer Entwicklung etc. – wieder ins Blickfeld zu rücken. Auch ist es notwendig, die Frage nach der Qualität der Arbeit und nach ihrer Organisation zu stellen.

In dem Maße, wie die Krisenhaftigkeit einer globalisierten Ökonomie nach neoliberalen Muster deutlicher wird, werden auch wieder stärker Perspektiven für eine alternative Ökonomie entstehen. Die herrschende Form der wirtschaftlichen Gestaltung weist erhebliche Defizite und Widersprüche auf, die auch deutlich zu Tage treten. Von daher müssten sich eigentlich sowohl die politischen als auch die materiellen Bedingungen für eine andere Art des Wirtschaftens verbessern.

Natürlich kann dadurch nicht das Spannungsverhältnis zwischen der Alternativökonomie und der herrschenden marktwirtschaftlich bestimmten Ökonomie aufgelöst werden. Und insofern wird uns auch das Transformationsproblem erhalten bleiben. Dies muss aber gar nicht so schlecht sein, wenn eine ökonomische Stabilisierung damit einher geht und wieder neue Möglichkeiten genossenschaftlichen Handelns entstehen. Entscheidend ist, dass dieser Prozess lebendig bleibt, so dass er ständig von neuem wieder entfacht wird, auch was eine weitere alternative Gestaltung wirtschaftlicher Verhältnisse anbelangt.

Doch wie sieht es mit der Unterstützung derartiger Ansätze in Deutschland aus – konkret mit der notwendigen materiellen Unterstützung, der Schaffung einer entsprechenden Infrastruktur, mit der politischen Förderung etc.? Die Resonanz im politischen Raum ist als ausgesprochen schwach zu bezeichnen. Hier unterscheiden wir uns deutlich von anderen Ländern. Ich verweise etwa auf Frankreich, wo immerhin ein Staatssekretär ausdrücklich für den Bereich economie sociale zuständig ist2. Die französische Regierung betreibt zwar keine alternative Ökonomie, setzt aber in ihrer Wirtschaftspolitik doch etwas andere Akzente. Es ist kein Zufall, dass dadurch auch eine gewisse Offenheit gegenüber gemeinwirtschaftlichen Formen der Ökonomie entsteht, dort eben Economie sociale genannt. Es wäre sehr wichtig, dass diese politische Diskussion auch bei uns stärker geführt wird und, verbunden mit einer stärkeren politischen Unterstützung, auch in die Öffentlichkeit hineinwirkt.

Anmerkungen
1    Die BfG existiert immer noch als Name, aber damit nichts mehr zu tun hat
2    Siehe auch Jean-Loup Motchane Die Solidarwirtschaft gibt sich noch verschämt im Kapitel Regionale Ökonomie und Beschäftiungsförderung im vorliegenden Jahrbuch (Anmerk. der Hrsg.)

Überarbeiteter Einleitungsreferat von H. Bierbaum, gehalten während des Sommerseminars 2000 des Theoriearbeitskreis Alternative Ökonomie (TAK AÖ) und der DGB-Bundesjugendschule in Oberursel gehalten

Email: Heinz Bierbaum
Heinz Bierbaum, Professor für allgemeine Betriebswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Unternehmensführung und Unternehmensorganisation unter besonderer Berücksichtigung sozialer und europäischer Aspekte an der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes, Saarbrücken. Leiter des Instituts für Organisationsentwicklung und Unternehmenspolitik an der HTW – "INFO-Institut"
Diese beiden Tätigkeiten ab 1996; davor lange Jahre Gewerkschaftssekretär in der IG Metall – zuerst Vorstand, Abteilung Wirtschaft, dann von 1990-1996 1. Bevollmächtigter IG Metall Verwaltungssstelle Frankfurt am Main
Inhaltliche Schwerpunkte: Unternehmenspolitik, Regionale und europäische Entwicklung, Soziale Ökonomie

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