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Rita Schäfer / Parto Teherani-Krönner

Perspektiven der Frauenarbeit im ländlichen Raum
Zusammenschlüsse, Ernährungssicherung und Zusammenarbeit von Frauen

Die Zusammenarbeit von Frauen spiegelt grundsätzliche Herausforderungen und Perspektiven wider, die für die ländliche Entwicklung ausschlaggebend sind. Diese umfassen den Umweltschutz, den Erhalt der biologischen Vielfalt und die gerechte Ressourcenverteilung. Darüber hinaus bildet jede Gruppe ein Forum zur Entfaltung der eigenen Fähigkeiten und Kompetenzen sowie zur Teilhabe an Entscheidungsprozessen auf lokaler und nationaler Ebene. So trägt die Selbstorganisation der Frauen dazu bei, Ziele wie eine menschenzentrierte und geschlechtergerechte Entwicklung zu verwirklichen.

Ein Vergleich von Frauenzusammenschlüssen aus unterschiedlichen Kulturen verdeutlicht die grundlegenden Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Zusammenarbeit. Denn sowohl in traditionellen Gesellschaften als auch in Industrieländern haben Landfrauen Kooperativen und lokale Organisationen gebildet, die ökonomische Ziele verfolgen.

Ein Blick in die Gruppenstrukturen zeigt, wie wichtig die Transparenz der Gruppenleitung und demokratische Abstimmungsverfahren für die Zusammenarbeit und die Ernährungssicherung sind. Auch die Alterszusammensetzung der Mitglieder und die Einkommensverteilung spielen eine Rolle. Bemerkenswert ist, wie aufgeschlossen viele Gruppen für technische Innovationen sind, wenn diese Neuerungen Arbeitserleichterungen ermöglichen und die Frauen die Kontrolle über die Technik einfordern können. Viele Kleinbäuerinnen entscheiden sich, Mitglieder in einer Frauenorganisation zu werden, da die Männer in den gemischten Kooperativen in jeder Hinsicht bevorzugt werden. Dies betrifft ihre Übernahme von Entscheidungsfunktionen sowie ihre Macht über die Einkünfte und die Arbeitsorganisation. So mussten Frauen in gemischten Kooperativen immer wieder feststellen, dass diese Wirtschaftsform dem Anspruch der Gesellschaftsveränderung keineswegs gerecht wird, denn die Hierarchien im Geschlechterverhältnis bleiben unangetastet. Die umfangreichen Arbeitsleistungen der Frauen in der Landwirtschaft werden in vielen gemischten Kooperativen nicht geachtet und ihre familiären Versorgungsaufgaben werden nicht als wirtschaftlich bedeutend anerkannt.

Diesen Tendenzen versuchen Frauenzusammenschlüsse gegenzusteuern, indem sie alle Arbeiten ihrer Mitglieder als überlebenswichtig bewerten, um so auch die Differenzen zwischen den Frauen auszugleichen. Darüber hinaus legen sie Wert auf die aktive Beteiligung aller Frauen an Entscheidungsprozessen. Zudem bemühen sie sich, den Informations-, Kredit- und Marktzugang jeder Einzelnen zu verbessern. Wichtig ist, dass Frauen durch Bildungsprogramme und Schulungen Managementkenntnisse erwerben, um an Entscheidungsprozessen teilzuhaben und Führungsaufgaben zu übernehmen. Auf diesem Wege werden ihre Kompetenzen erweitert und geschlechtergerechte Entwicklungsperspektiven verwirklicht.

Verbesserung der Lebenssituation durch Frauenzusammenschlüsse
Neben der aktiven Partizipation an allen Entscheidungsprozessen ist die egalitäre Aufteilung der gemeinsam erwirtschafteten Gewinne eine Voraussetzung dafür, dass die Frauenorganisationen zur Existenz- und Ernährungssicherung ihrer Mitglieder beitragen. Die Vernetzung mit anderen Frauenzusammenschlüssen kann helfen, neue rechtliche Handlungsspielräume zu erschliessen und eigene ökonomische Interessen zu verwirklichen.
Zusätzlich zu diesen institutionellen Überlegungen dürfen die sozialen Zusammenhänge nicht vernachlässigt werden, da diese die Kooperation prägen. So bietet die tägliche an gemeinsamen wirtschaftlichen Zielen orientierte Arbeitsteilung eine Basis, persönliche Probleme gemeinsam zu lösen. Die Unterstützung durch Gleichgesinnte ist für viele Frauen eine wichtige Motivation für ihre Beteiligung an lokalen Organisationen. Die Zusammenarbeit hilft ihnen, die Versorgung ihrer Familien zu verbessern und neue Formen der sozialen Absicherungen aufzubauen. Dies ist insbesondere dann gewährleistet, wenn einzelne Frauengruppen in grössere Verbände von Nicht-Regierungsorganisationen eingebunden sind und auf diesem Wege einen Zugang zu Informationen erhalten. Auch für die Interessensvertretung gegenüber staatlichen Institutionen kann eine derartige Einbindung in die nationalen und internationalen Frauen-, Umwelt- oder Bauernbewegungen wichtig sein.

Sozio-kulturelle Verankerung und Entwicklungspotenziale von Frauenzusammenschlüssen

Heutige Frauengruppen blicken auf eine lange Geschichte der vielfältigen Formen von Zusammenarbeit zurück. In zahlreichen Regionen Afrikas, Asiens und Lateinamerikas waren Frauenzusammenschlüsse bereits in den vorkolonialen Gesellschaften verankert. Sie trugen zur Arbeitsteilung im Anbau, der Verarbeitung und Vermarktung von Nahrungsmitteln und zur Ernährungssicherung bei. Darüber hinaus vermittelten sie landwirtschaftliche und ökologische Kenntnisse sowie Kompetenzen in Handwerk und Handel. Die gerechte Verteilung der Arbeit und der Erträge waren wesentliche Organisationsprinzipien. Egalitäre Entscheidungsprozesse und Hierarchien, die auf der Macht alter Frauen aufbauten, lagen den Gruppenstrukturen zu Grunde.

Neben wirtschaftlichen Aufgaben hatten die Frauenorganisationen auch soziale, religiöse und politische Bedeutung, indem sie Zeremonien im Jahreszeitenzyklus oder in Verbindung mit den einzelnen Lebensphasen von Frauen durchführten. In Westafrika übernahmen ihre Leiterinnen politische Führungspositionen, die sie sogar gegen die Kolonialmächte zu verteidigen suchten. Heutige Frauenzusammenschlüsse bauen auf diesen Traditionen auf, versuchen sie aber innovativ an die gegenwärtigen sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Herausforderungen anzupassen. Dabei gelten Frauenzusammenschlüsse als geeignete Organisationsform, die neuen Möglichkeiten zu nutzen und sich aktiv an demokratischen Entscheidungsprozessen z.B. an der Landreform zu beteiligen.

Der Widerstand gegen politische Willkür wird auch heute noch vielerorts von Frauenzusammenschlüssen getragen. Inzwischen haben Nicht-Regierungsorganisationen und staatliche Agrarministerien die Entwicklungspotenziale ländlicher Frauengruppen erkannt, entsprechend besteht eine aktuelle Herausforderung darin, der Vereinnahmung durch staatliche oder parteipolitische Interessen entgegenzuwirken. Nur dann können die Gruppen ihre Ziele, wie Ernährungssicherung, Ressourcenschutz und geschlechtergerechte ländliche Entwicklung verwirklichen.

Frauenkooperativen im Iran - Reglementierte Zusammenarbeit?
In den ländlichen Regionen des Irans sind heute noch traditionelle Kooperationsformen verbreitet, die Frauen in ökonomischen und sozialen Netzwerken zusammenführen. Die gesellschaftlichen Verpflichtungen und religiöse Riten verbinden Frauen unterschiedlichen Alters und sozialen Status. Ihr Austausch und ihre gegenseitige Unterstützung beziehen sich auf einzelne landwirtschaftliche Produkte und jahreszeitliche Arbeitsprozesse, z.B. auf die gemeinsame Feldarbeit und Vermarktung. Auch in den nomadischen Gesellschaften sind diese Organisationsformen wichtig für das Überleben. So tragen „Vareh“-Zusammenschlüsse seit vielen Jahrhunderten dazu bei, dass Frauen, die nur wenig Milchvieh besitzen, untereinander Milch austauschen. Auf diese Weise erhalten auch ärmere Frauen die Ressourcen zur Joghurt- und Käseherstellung.
Außerdem sind derartige Netzwerke wichtige Institutionen zur Pflege sozialkommunikativer Strukturen auf dem Land und den Systemen der sozialen Sicherheit. Allerdings konkurrieren heute die traditionellen Formen der Zusammenarbeit mit neuen Wirtschaftsformen, z.B. den Kooperativen. Diese bauen jedoch nicht auf die vorhandenen Formen der Zusammenarbeit auf. Seit 1993 werden neue Frauenkooperativen von der Regierung eingeführt und von UN-Organisationen unterstützt. Diese Massnahmen sind Ausdruck der staatlichen Verpflichtungen zur Frauenförderung, welche wiederum aus nationalen Leitlinien der Frauenpolitik und internationalen politischen Orientierungen hergeleitet wird. In diesem Zusammenhang ist das von der Regierung vorgegebene „Statut der Frauenkooperativen“ dahingehend zu prüfen, ob es die Handlungsspielräume von Frauen erweitert, oder ihre Zusammenarbeit beeinträchtigt.

Besondere Beachtung erfuhren Landfrauen und Frauenkooperativen Mitte der 90er Jahre, zur Zeit der UN-Weltfrauenkonferenz in Peking. Die Ziele der neuen Kooperativen sind weit gesteckt. Sie umfassen den Zugang zu Krediten, Märkten und Entscheidungsgremien. Bildungsmassnahmen in der Landwirtschaft und im handwerklichen Bereich werden ebenfalls angestrebt. Konkret heisst das: die Kooperativen versuchen, alle Aufgaben im landwirtschaftlichen Produktionsprozess zu bewältigen, einschliesslich der Verarbeitung bis hin zur Vermarktung. Alle Massnahmen sind auf die Verbesserung der Lebensbedingungen von Frauen orientiert. Durch die Kombination dieser Arbeitsbereiche haben Frauenkooperativen im Iran bereits einige Erfolge erzielt. Diese sind keineswegs auf ökonomische Fakten zu reduzieren, vielmehr ermöglicht die institutionelle Verankerung von Frauenzusammenschlüssen, erstmals die Arbeit und das Wirken von Frauen auf dem Land sichtbar zu machen und zu würdigen. So produzieren Frauen im Iran die farbenprächtigen, kostbaren Teppiche, die nach dem Rohöl immer noch das wichtigste Exportgut des Landes sind. Ihre Arbeit wurde aber – da überwiegend im ländlichen Haushalt hergestellt – statistisch nicht registriert. In kargen Regionen mit geringer agrarischer Produktion sichert dieses häusliche Handwerk bis zu 90 Prozent des Haushaltsbudgets und damit die Ernährungssicherung der Familienmitglieder.

Die Kooperative La Surenita in Honduras - Ein Entwicklungsprojekt von Frauen
Auf einer unrentablen Cashew-Plantage gründeten Frauen lokale Arbeitsgruppen, um Cashew-Äpfel und Nüsse mit Hilfe einer arbeitsintensiven Technik weiterzuverarbeiten. Daraus ging die Kooperative La Surenita hervor, deren Mitglieder aus drei benachbarten Dörfern kommen. Das Ziel des Projektes ist die Schaffung von Arbeitsplätzen für Frauen, um ihnen eigenes Einkommen zu ermöglichen.

Mit der Gründung der Kooperative reagierten die Frauen auf die rechtlichen Beschränkungen, die ihnen verbieten, als eigenständige Produzentin Land zu besitzen. Ihre Verhandlungsposition gegenüber politischen Gremien und Entscheidungsträgern hat sich grundlegend verbessert. Hierzu tragen die demokratischen Strukturen in der Kooperative bei, denn die gewählten Vertreterinnen der Kooperative kämpfen für die Landrechte und die öffentliche Anerkennung des Frauenzusammenschlusses. Auch ihre unzureichende Schulbildung und das Aufbrechen von familiären Sicherungssystemen fordern neue Antworten, denn über 70 Prozent der Frauen sind allein erziehende Mütter, die bis zu neun Personen in ihren Haushalten versorgen müssen. Die Kooperative bieten den Frauen neue wirtschaftliche Perspektiven in der Produktion und Vermarktung, auch die Bildungsprogramme tragen zur Stärkung des Selbstvertrauens bei. Indem die Frauen ihr eigenes Einkommen erwirtschaften und Zugang zu Krediten erhalten, hat die Kooperative ihre Ressourcensituation strukturell verbessert. Zudem können die Frauen finanzielle Unterstützung in Notsituationen erhalten und mit einer minimalen Altersversicherung rechnen. Indem die Zusammenarbeit und Organisation von Frauen gestärkt wird, fördert die Kooperative die sozio-ökonomische und kulturelle Entwicklung in den Dörfern.

La Surenita zeigt, dass ein Projekt, das die wirtschaftlichen Ziele der Frauen verwirklicht, mittel- und langfristige Verbesserungen bringen kann. Denn erstens werden alle Frauen regelmässig in der Produktionstechnik sowie in verwaltungspraktischen und politischen Fragen geschult und zweitens liegt die gesamte Verwaltung und Vermarktung in den Händen der Mitglieder. Dennoch sind die wirtschaftlichen Möglichkeiten an das Alter und den familiären Status der Frauen gebunden: Während das Einkommen der allein erziehenden jungen Mütter mit mehreren Kindern gerade zur Versorgung reicht, können andere Frauen bereits ein eigenes Haus bauen. Die Herausforderung für diese Kooperative besteht nun darin, mögliche Konflikte zu bewältigen, die aus derartigen Unterschieden zwischen den Frauen resultieren.

Wenngleich die Frauen durch das eigene Einkommen und die Bildungsangebote selbstbewusster geworden sind, entziehen sich immer mehr Ehemänner ihrer familiären Verantwortung. Viele nutzen ihre sporadischen Löhne nun ausschliesslich für individuelle Interessen. Somit hat der wirtschaftliche Erfolg der Frauen neue Geschlechterkonflikte zur Folge. Obwohl einige verheiratete Frauen derartige Schwierigkeiten mit ihren Ehemänner beklagen, bewerten sie die Kooperative dennoch als Chance, ihre Perspektiven zu verwirklichen.

Die Zukunft der Frauenorganisationen – Perspektiven für die Entwicklungszusammenarbeit
Die Entwicklungsplanungen müssen stärker als bislang das lokalspezifische Zusammenwirken von Geschlechterhierarchien und sozio-ökonomischen Differenzen erfassen, um Frauenzusammenschlüsse so zu unterstützen, dass keine weiteren Nachteile für die Beteiligten entstehen. Partizipative Planungsprozesse können dazu beitragen, traditionelle und neue Kooperationsformen zu stärken und lokale Problemlösungsansätze durch gemeinsame Arbeitsformen zu fördern.

Der Dreh- und Angelpunkt hierbei sollte die Unterstützung der Kompetenzen, Kenntnisse und des Ideenreichtums von Frauen sein. Indem Frauenzusammenschlüsse ökonomische und ökologische mit sozio-kulturellen Zielen verbinden und dabei von der Lebensrealität ihrer Mitglieder ausgehen, sorgen sie für die Ernährungssicherung und bieten neue Handlungsspielräume für Frauen. Eine kritische Auseinandersetzung mit dem gesellschaftlichen Wandel und der geschlechtlichen Arbeitsteilung innerhalb der Kooperativen ist die Basis dafür, dass die Beteiligten selbst neue Ansatzpunkte für die Organisation ihrer Arbeit entwickeln und auf diesem Wege die mit der männerdominierten Erwerbsarbeit verbundenen Ungleichheiten hinterfragen. Wenn demokratische Entscheidungsstrukturen verankert sind, können die Zusammenschlüsse auch geeignete Instanzen sein, um Fraueninteressen gegenüber anderen Organisationen und staatlichen Institutionen zu vertreten.

Aus: Contraste – Monatszeitung für Selbstorganisation, Nr. 189, Juni 2000

 

Email: Parto Teherani-Krönneri
Parto Teherani-Krönner, iranische Sozialwissenschaftlerin, u.a. Studium der Soziologie mit agrar- und entwicklungspolitischem Schwerpunkt, Promotion zur Umweltsoziologie mit human- und kulturökologischen Ansätzen. Generalsekretärin der Deutschen Gesellschaft für Humanökologie. Seit 1993 Leitung des neu gegründeten ergänzenden Fachgebiets „Frauenforschung“ an der Landwirtschaftlich- Gärtnerischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin und Vorstandsvorsitzende des Schwerpunkts: Frauen in der Ländlichen Entwicklung. Feldforschungen in Deutschland und in Iran. Veröffentlichungen u.a. Human- und kulturökologische Ansätze zur Umweltforschung 1992, „Handlungsspielräumen von Frauen in Agrarkulturen“ (1997) „Women in Rural Production, Household and Food Security: An Iranian Perspective“ (1999) Mitherausgeberin der Publikationsreihe und der Tagungsberichte: Frauen in der Ländlichen Entwicklung (1995, 1997, 1999).

Email: Rita Schäfer
Dr. Rita Schäfer, Ethnologin, Mitarbeiterin am Institut für Ethnologie, FU-Berlin, zuvor Gastdozentin an der HU-Berlin, Rurale Frauenforschung/Frauen in der ländlichen Entwicklung, Arbeitsschwerpunkte: Gender und Entwicklung, Afrikanische Frauenorganisationen. Neuste Publikation: Gender und ländliche Entwicklung in Afrika, eine kommentierte Bibliographie, Lit-Verlag, Münster 2000.

  WEITERFÜHRENDE LINKS: Humboldt-Universität Berlin, Landwirtschaftliche-Gärtnerische Fakulität  www.agrar.hu-berlin.de/wisola/fg/ff/
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